TABASCO 1939

Es ist der erste September 1939, der Herbst bahnt sich langsam seinen Weg, die Bäume verlieren die Blättern, die Straßen färben sich goldbraun, die kühlen Winde lassen die Einwohner wieder umhüllt in Pelzjacken und dicken Schals rumlaufen.
Der Himmel ist grau. Das sieht man aus dem beschlagenen Küchenfenster der Familie Fuchs.
Frau Fuchs kochte eine Kürbissuppe, einen ganzen Topf voll, um die dreiköpfige Familie satt zu bekommen. Der große, kräftige Herr Fuchs braucht bestimmt wieder drei Portionen um das Gefühl des Satt- Seins zu spüren.
Alle sitzen am Tisch. Es ist still, nicht so wie gewohnt. Draußen kreisen die Krähen am Himmel, drinnen kreisen die Löffel in der Suppe. Trauer umgibt den ganzen Tisch. Die Gesichter der Kinder sind blass, die Mundwinkel nach unten gezogen, erschöpft von den täglichen Aufgaben, der Arbeit, der Schule.
Herr Fuchs bricht die Stille am Essenstisch mit einem strengen Ton und rauchiger tiefer Stimme:
"Maria, wo ist mein Tabasco?!"
Er hustet. Sein jahrelanges Rauchen wird ihm noch zum Verhängnis werden, denkt sich Frau Fuchs.
Sie steht auf, läuft mit schleifenden Schritten auf das Gewürzregal zu und holt die Flasche Tabasco heraus. Herr Fuchs nimmt ihr die Flasche ab und schüttet sich reichlich Tabasco in die Suppe.
Lautes Knallen schallt von draußen hinein, die Teller und Tassen fallen aus den Schränken und zerspringen, die Fenster springen aus den Rahmen, die Wandkacheln zerbrechen in tausenden von Teilen. Schutt und Asche durchströmt die Küche.
Ein Donner? Das war der letzte Gedanke der Familie Fuchs.
 
Alles ist still bis auf das Schluchzen des Windes der durch die Trümmer zieht.
Nichts und niemand regt sich. Alles liegt still, umhüllt von dem Besitztum und der einstigen Pracht des Hauses.
 
Rote Flüssigkeit tropft auf den zertrümmerten Boden. Eine kleine Lache bildet sich.
Die Tabasco Flasche läuft aus und hinterlässt dem Haus die letzte Farbe, den letzten Geschmack und das letzte Feuer.